65 Fin
Fin saß am Abend auf der Couch, als sein Handy klingelte. Emmas Name erschien auf dem Display und sein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Es hatte so gutgetan, sie zu sehen und mit ihr zu reden. Auch wenn er sehr darauf geachtet hatte, ihr nicht zu nah zu kommen. Sein Testergebnis war zwar negativ gewesen, doch hatte er die Quarantäne noch einige Tage einzuhalten. Er wollte nicht riskieren, dass sie sich vielleicht ansteckte oder das Virus an Finja weitergab, die ja gerade erst im Krankenhaus gelegen hatte.
Aber er hätte sie so gerne in die Arme genommen und sie geküsst. Die Distanz zwischen ihnen hatte ihm schon fast körperliche Schmerzen bereitet. Zumal sie auch so aufgelöst bei ihm aufgetaucht war.
Er war noch immer so wütend, wenn er sich vorstellte, was der Typ aus seinem Haus mit ihr anstellen wollte. Zum Glück hatte sie sich selbst befreien können.
Die Polizei war schnell bei ihnen gewesen. Nach Emmas Aussage sind sie nach oben zu seiner Wohnung gegangen und haben ihn mit auf das Revier genommen. Schon bei dem Gedanken an diesen schleimigen Typen ballte er unterbewusst die Fäuste. Wenn der ihm vor die Augen trat, konnte er was erleben! Er schüttelte die Gedanken ab und nahm das Handy in die Hand. Neugierig las er ihre Nachricht und Wärme umschloss sein Herz.
Emma
Ich wollte es dir eigentlich anders sagen. Danke für deine unerwarteten Zeilen. Ich möchte dich auch in unserem Leben haben, jeden Tag. Ich vermisse dich so sehr. Können wir telefonieren?
Fin schloss die Augen und schickte ein »Danke« ans Universum. Ihm wurde kalt und heiß im Wechsel. Er konnte seinen Augen kaum trauen. Mehrmals atmete er durch, dann wählte er ihre Nummer und sie sprachen bis tief in die Nacht hinein.
Er freute sich schon sehr auf ihr baldiges Wiedersehen und sie planten bereits das gemeinsame Essen mit Emmas Schwester und ihrem Freund. Er spürte ein vorfreudiges Prickeln in seinem Bauch.
Sie versprach ihm, am nächsten Tag einen Videoanruf mit Finja zu ermöglichen. In diesem Moment änderte sich für ihn etwas. Erst konnte er das Gefühl nicht ganz einordnen. Es war die Art, wie Emma mit ihm sprach und wie er mit ihr redete. Die Atmosphäre war mit einem Mal so locker und leicht, als hätten sie die Jahre dazwischen nicht getrennt voneinander verbracht. Und nach und nach kristallisierte es sich deutlicher heraus. Es fühlte sich an, als wäre er endlich im Leben angekommen. Als hätte er seinen Platz gefunden. An Emmas und Finjas Seite. Seiner kleinen Familie.
***
Einige Tage später stand Fin mit feuchten Händen vor Emmas Wohnung. Er war so erleichtert gewesen, als das Gesundheitsamt ihm das Ende der Quarantäne verkündet hatte. Die zweite Woche war ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen.
Doch Emma war sein täglicher Zuckerwürfel gewesen, die süchtig machende Ablenkung während seiner eintönigen Tage. Stundenlang schickten sie sich Nachrichten und telefonierten jeden Abend. Ihre Gespräche und Chats waren mit der Zeit immer intimer und vertrauter geworden. Sie gab ihm das Gefühl, als könne er mit ihr über jedes Thema der Welt reden. Es gab keine Tabus und sie lachten so viel gemeinsam. Sie hatten definitiv den gleichen Humor. Ihre Nachrichten abends im Bett bescherten ihm jedes Mal ein ungeduldiges Kribbeln unterhalb seines Bauchnabels. Mit jedem Tag, jeder Minute, jeder Sekunde verdoppelte sich seine Sehnsucht nach ihr. Er wollte ihr nah sein, an ihrer Haut riechen, sie schmecken und spüren. Ihre Antworten deuteten darauf hin, dass es ihr ähnlich ging.
Und nun stand er hier, mit einem Blumenstrauß in der Hand und ihm liefen die Ohren rot an, wenn er an diesen Schreibwechsel dachte. Es war zwar schon real gewesen, aber irgendwie auch wieder nicht. Er hatte sie nicht gesehen oder maximal auf dem kleinen Display seines Smartphones. Doch nun würde er sie wirklich treffen. Die Nervosität verursachte kleine Hüpfer in seiner Magengegend und immer wieder durchströmte ihn schlagartig das Gefühl, als würde er von einer Klippe fallen. Doch er freute sich auch sehr auf sie.
Sie hatte ihm versprochen, für ihn zu kochen. Finja wollte sie für diesen Abend zu ihrer Schwester bringen, damit sie erst einmal ein bisschen Zeit für sich alleine hatten.
Am liebsten würde er fliehen und gleichzeitig spürte er das Verlangen, die Tür einzutreten, um schneller bei ihr sein zu können.
Mit dieser Mischung aus widersprüchlichen Gefühlen, sah er sie an, als sie öffnete.
Sein Lächeln wirkte schüchtern.
Doch auch Emma kam in diesem Moment nicht mehr so selbstbewusst rüber wie am Abend zuvor. Sie schmunzelte, als wäre sie peinlich berührt, aber gleichzeitig auch unheimlich glücklich darüber, dass er da war.
Fin kratze sich hinter dem Ohr, trat dann auf sie zu und reichte ihr die Blumen.
Emma nahm den Strauß entgegen. »Vielen Dank! Der sieht toll aus.« Sie roch daran, schloss die Augen und gab einen entzückten Laut von sich. »Wahnsinn, wie der duftet.«
Fin strahlte. Er freute sich, dass die Blumen ihr gefielen. Auch er staunte über den intensiven Duft. Sein ganzes Auto hatte danach gerochen. Kein Strauß, den er in den letzten Jahren erhalten hatte, war dem annähernd ähnlich gewesen. Als hätten die Blumen im Laufe der Jahre ihre Duftkraft verloren. Aber im Laden von Nina war das eindeutig anders. Er musste sie unbedingt nach ihrem Geheimnis fragen.
Emma trat einen Schritt zurück und bedeutete ihm, dass er hereinkommen sollte.
Bevor er eintrat, streifte er sich die Schuhe ab.
»Ich stelle die schnell in eine Vase. Das Essen ist auch gerade fertig geworden.« Mit diesen Worten drehte Emma sich herum und lief in die Küche.
Fin zog sich seine Jacke aus und hängte sie an einen freien Haken. Er atmete tief ein und langsam aus. Meine Güte, wann war er das letzte Mal so nervös gewesen? Nicht einmal bei seiner Abiprüfung hatte er solch ein Kribbeln und Hüpfen im Bauch verspürt.
Emma kam zurück in den Flur.
Er betrachtete sie. Ihre langen, offenen Haare, das Kleid, das sie trug, und ihrer Figur sehr schmeichelte … Dann rutschte sein Blick etwas tiefer und da musste er schmunzeln. Sie trug völlig unpassend dazu ein paar quietschpinke dicke Socken. Er wusste, dass sie leicht fror, das hatte sie ihm am Telefon erzählt. Ihn störten die Socken jedoch keineswegs, er fand sie lustig, sympathisch und irgendwie auch niedlich.
Sie blieb stehen, betrachtete ihn ebenso und wusste offenbar auch nicht so genau, was sie sagen sollte. Wo war nur diese Leichtigkeit ihrer Telefonate und Chats hin verschwunden?
In diesem Moment legte sich in Fins Kopf ein Schalter um. Als hätte sich der Autopilot eingeschaltet und automatisch die Kontrolle über seinen Körper übernommen, der nun intuitiv wusste, wie er sich zu verhalten hatte. Er vergaß mit einem Mal all seine Sorgen, Zweifel und unbehaglichen Gedanken. Er ging auf Emma zu, legte eine Hand an ihren Hinterkopf und küsste sie. Er küsste sie so, wie er es sich seit Tagen insgeheim ausgemalt hatte – mit all seiner Liebe, Zuneigung und Verlangen.
Sie wirkte im ersten Augenblick etwas überrumpelt, doch nach wenigen Sekunden entspannte sie sich spürbar in seiner Umarmung und erwiderte den Kuss voller Leidenschaft.
Sie ging rückwärts und zog ihn mit sich, bis sie mit den Beinen an die Couch stieß und sich mit einem überraschten Aufschrei rückwärts darauf fallen ließ. Da sie Fins Oberteil festhielt, stolperte er hinterher und versuchte sich beim Fallen abzustützen, um ihr nicht wehzutun. Dabei rutschte er halb seitlich auf den Boden, konnte sich jedoch abfangen und zog sich zurück auf die Couch. Beide lachten zeitgleich laut los.
Doch dann fing Fin diesen Blick von ihr auf, irgendwie düster und zärtlich zugleich. Sofort schoss ihm das Verlangen in die Lendengegend zurück. Er schob seine Hand unter den Stoff ihres Kleides, woraufhin sie scharf die Luft einzog. Mit seinen Lippen berührte er ihren weichen Mund und tauchte in einen unendlichen Kuss ab, der ihn in einen tiefen Strudel voller Glückseligkeit hinabriss.